94. Bundestag des FRANKENBUNDES am 5. Oktober 2024 in Gaibach

Ein historischer Rahmen für den Bundestag

„Freyheit der Meinungen“, „Freyheit der Gewissen“ oder „Gleichheit der Belegung und der Pflichtigkeit ihrer Leistung“ – das sind einige der Losungen an den Wänden des klassizistischen Konstitutionssaals auf Schloss Gaibach, den Graf Franz Erwein von Schönborn-Wiesentheid 1820 in Erinnerung an die zwei Jahre zuvor verabschiedete Verfassung des Königreichs Bayern umgestalten ließ. An diesem geschichtsträchtigen Ort trafen sich am 5. Oktober 2024 rund hundert Mitglieder des FRANKENBUNDES zum 94. Bundestag, um neben den jährlich wiederkehrenden Observanzen wie der Kulturpreisverleihung oder der Delegiertenversammlung nicht zuletzt dem historischen Genius Loci nachzuspüren.

Festakt im Konstitutionssaal

Nach einem kleinen Frühstück zur Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer begann um 10.00 Uhr der Festakt im Konstitutionssaal. In seinem Grußwort betonte der Erste Bundesvorsitzende des FRANKENBUNDES Dr. Paul Beinhofer die Bedeutung des Ortes als eines der zentralen Erinnerungsorte des modernen freiheitlichen Verfassungsstaates in Franken: der damalige Schlossherr von Gaibach, Graf Franz Erwein von Schönborn hat bereits wenige Tage nach der Ausfertigung der Bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818 den Entschluss gefasst, mit der Errichtung einer Konstitutionssäule oben auf dem Sonnenberg „durch ein weithin ragendes Denkmal an den sonnigen Ufern des Mains … der Verfassung ein unvergängliches Zeichen zu setzen“, und er hat auch zeitnah damals die Ausgestaltung dieses Saales mit den wesentlichen Prinzipien der neuen Verfassungsordnung in Auftrag gegeben. Diesem besonderen Ort wollten sowohl die Veranstaltung selbst als ihre Hinführung Rechnung tragen. Durch vielfältige Aktivitäten sei es bereits in den vergangenen Jahren das Anliegen auch des FRANKENBUNDES gewesen, mit Verfassungsfeiern und Jubiläumstagen in Gaibach unter Beteiligung von Vertretern der Staatsregierung den Verfassungspatriotismus in unserem Land zu stärken, der gerade heute angesichts eines erstarkenden dumpfen Nationalismus bitter nötig ist. Damit ist es gelungen, auch bei der Münchener Prominenz ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welch zentrale Rolle Franken bei der Herausbildung des modernen gesamtbayerischen Verfassungsstaates gespielt hat. Studiendirektorin Petra Sokol-Pemöller, Leiterin des Frankenlandschulheims Schloss Gaibach, betonte in ihrem Grußwort die Notwendigkeit, mit der Bildungsarbeit im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schon frühzeitig in den Schulen zu beginnen. Nach weiteren kurzen Grußworten von Gastgeber Paul Graf von Schönborn-Wiesentheid und dem zweiten Bürgermeister der Stadt Volkach Udo Gebert wurde von der Gesangsformation „Lerchen“ aus Obervolkach ein freiheitliches Lied des frühen 19. Jahrhunderts dargeboten.

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Podiumsdiskussion: Gaibach – Ort der Demokratie?

Den Hauptteil des Festaktes bildete eine Podiumsdiskussion unter der Leitung des Zweiten Bundesvorsitzenden des FRANKENBUNDES Prof. Dr. Georg Seiderer zum Thema „Gaibach – Ort der Demokratie?“. Als Diskutanten eingeladen waren Prof. Dr. Rainer Leng, Professor für Fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg, Dr. Markus Lang aus Frankfurt, Leiter des Projektes „Orte der Demokratiegeschichte“ beim Weimarer Republik e. V., Dr. Katharina Weigand, Historikerin am Universitätsarchiv München sowie Dr. Ute Feuerbach, als Erste Vorsitzende des Heimatvereins Volkacher Mainschleife e. V. hauptverantwortliche Ausrichterin des Bundestages. Während Feuerbach eine regelrechte Euphorie in der Bevölkerung für die 1818 erlassene Verfassung konstatierte und die häufige Anrufung der Appellationsgerichte durch Angehörige der breiten Bevölkerung als Ausdruck gewonnener Freiheiten deutete, verwies Weigand auf die Intention der monarchischen Spitze des Königreichs Bayern, mit der Verabschiedung der Konstitution vor allem die eigene Machtstellung zu sichern und das Volk dankbar-gefügig zu machen. Eine Fortentwicklung der Verfassung sei von Max I. Joseph nicht gewollt gewesen; im Gegenteil: Der König selbst habe nach dem ersten Landtag mit dem Gedanken gespielt, sie wieder abzuschaffen, und sei nur durch seine Berater von diesem Vorhaben wieder abgebracht worden. Gerade sein Sohn und Nachfolger Ludwig I. habe nach dem sogenannten Gaibacher Fest am 27. Mai 1832 zum 14. Jahrestag der Verfassung eine umso restriktivere Politik gefahren, zumal er – nicht zuletzt biografisch bedingt – eine regelrechte Revolutionsangst vor sich hergeschoben habe. Leng bewertete Gaibach zwar durchaus als wichtigen Ort der Demokratiebewegung, diese sei aber 1818 noch nicht voll ausgeprägt gewesen, sondern erst hundert Jahre später nach dem Ersten Weltkrieg durch die Bevölkerung wirklich ernst genommen worden. Auch das Wirken des Würzburger Bürgermeisters Wilhelm Joseph Behr, der als Redner beim Gaibacher Fest auftrat und sein Engagement mit mehrjähriger Haftstrafe bezahlen musste, kam während des Gesprächs der Expertinnen und Experten mehrfach zur Sprache, wobei die Problematik deutlich wurde, inwieweit Behr die Konsequenzen seines mutigen Handels nicht völlig bewusst waren oder er sie im Gegenteil sehenden Auges und billigend in Kauf nahm. Mit der Position König Ludwigs I., der in der Bevölkerung keine Staatsbürger, sondern nur Untertanen gesehen habe, sei seine optimistische Bewertung des Geschehens an der Konstitutionssäule jedenfalls nicht vereinbar gewesen. Die bis heute häufige Erzählung, Behr habe sich als „König der Franken“ feiern und um die Säule herumtragen lassen, basierte allerdings auf einem denunzierenden Spitzelbericht, wie insbesondere Leng betonte. Lang leitete aus dem Geschehen des frühen 19. Jahrhunderts und der besonderen Bedeutung des Ortes Gaibach vor allem die Aufforderung ab, sich nicht zuletzt vor Ort politisch zu engagieren und für die Errungenschaften der Demokratie einzustehen. Den Abschluss der Podiumsdiskussion bildete das gemeinsam vom gesamten Auditorium unter neuerlicher Begleitung der Obervolkacher „Lerchen“ gesungene Lied „Die Gedanken sind frei“.

Verleihung des Kulturpreises des FRANKENBUNDES

Ein weiterer Höhepunkt des Festakts war die Verleihung des mit 1.500,– Euro dotierten Kulturpreises des FRANKENBUNDES an den 1961 im mittelfränkischen Dachsbach geborenen Schriftsteller Dr. Helmut Haberkamm. In seiner ausführlichen Laudatio stellte Prof. Dr. Georg Seiderer die Verdienste des Geehrten um die fränkische Sprachkultur heraus (siehe Laudatio in diesem Heft). Anschließend gab Haberkamm einige teils humorvolle, teils ernste Kostproben seiner Dichtung in ostfränkischer Mundart unter anderem aus seinen Gedichtbänden „Frankn lichd nedd am Meer“, 1993, und „All Dooch wos annersch“, 2022, samt einer lautmalerischen, nach eigener Aussage inhaltlich in Wahrheit aber völlig sinnlosen Umdichtung des berühmten Frankenliedes. Dessen erste, zweite und vierte Strophe im Original von Joseph Viktor von Scheffel wurden alsdann gemeinsam gesungen. In seinem Schlusswort dankte Prof. Dr. Georg Seiderer noch einmal allen am Zustandekommen des Festaktes beteiligten Organisatoren, insbesondere den zahlreichen Helferinnen und Helfern vor Ort.

Exkursion zur Konstitutionssäule

Nach dem gemeinsamen Mittagessen im Speisesaal des Frankenlandschulheims begab sich die Festgesellschaft zur rund einen Kilometer entfernten Konstitutionssäule nördlich über dem Ort. Im Rahmen eines kleinen Umtrunks ergriff nochmals der Erste Bundesvorsitzende Dr. Paul Beinhofer das Wort und würdigte das 1821/28 nach einer Idee des Grafen Franz Erwein von Schönborn und auf Basis von Plänen Leo von Klenzes errichtete klassizistische Bauwerk als eindrucksvolles Dokument der Konstitutions- und Demokratiebegeisterung im Bayern des frühen 19. Jahrhunderts. Sei es bei der Errichtung der Konstitutionssäle durch den Grafen noch in erster Linie um Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte für das Individuum gegangen, so sei habe Behr beim Gaibacher Fest 1832 als Hauptredner hingegen schon ganz wesentlich die politische Partizipation der Staatsbürger und den öffentlichen Diskurs gefordert. Deshalb ist es, so Beinhofer, aus meiner Sicht auch folgerichtig, dass das Präsidium des Bayerischen Landtags Gaibach nunmehr auch zu einem der Orte der Demokratie in Bayern ausgerufen hat. Nachdem bei der Enthüllung des Gedenkwürfels für den Ort der Demokratie am 21. April 2023 durch Frau Landtagspräsidentin Ilse Aigner naturgemäß keine vertiefte Beschäftigung mit der Bedeutung Gaibachs gerade auch für die Demokratiegeschichte unseres Landes möglich war, wollen wir das heute nachholen.

Delegiertenversammlung und Ausblick

Das weitere Programm teilte sich in eine erweiterte Führung zur Ortsgeschichte von Gaibach samt Besichtigung der barocken Pfarrkirche Heilige Dreifaltigkeit von Balthasar Neumann durch den Historiker Ferdinand Leuxner sowie die Delegiertenversammlung im Konstitutionssaal auf. Die Berichte des Ersten Bundesvorsitzenden und des Schatzmeisters Peter Feuerbach wurden zustimmend zur Kenntnis genommen und die Bundesleitung einstimmig bei Enthaltung der Betroffenen entlastet. Ferner informierte Beinhofer über die im Jahr 2025 geplanten Veranstaltungen, wobei er insbesondere die Bundesbeiratstagung am 22. März 2025 in Grünsfeld und der zwölfte Fränkische Thementag am 10. Mai 2025 unter dem Oberthema „Manufakturwesen in Franken“ hervorhob. Abschließend dankte der Erste Bundesvorsitzende allen Teilnehmern und insbesondere denjenigen, die sich in den Gruppen, den selbständigen Vereinen und in der Bundesleitung für die Belange des FRANKENBUNDES und der fränkischen Kultur engagierten.

Text Bildergalerie: Priv.-Doz. Dr. Johannes Sander

Bilder groß: Rebecca Hümmer